Internationale Anästhesiepflege: Togo – Anästhesie Journal Nr. 1 März 25
6. März 2025
Should I stay or should I go to TOGO?
Internationale Zusammenarbeit und Solidarität sind essenziell, um die Anästhesieversorgung weltweit zu verbessern. Die International Federation of Nurse Anesthetists (IFNA) setzt sich seit Jahrzehnten für den Wissensaustausch und die Entwicklung globaler Standards ein. Meine persönliche Reise begann 2004 mit dem ersten IFNA-Treffen in Lausanne – eine Erfahrung, die mich bis nach Togo führte, wo ich an einem eindrücklichen Projekt zur Verbesserung der chirurgischen Versorgung mitwirken durfte. Dieser Bericht gibt Einblick in die Herausforderungen, Fortschritte und den anhaltenden Einsatz für eine sichere Anästhesie – auch in ressourcenarmen Regionen.
Autor: Matteo Gianinazzi
Noch bevor ich meine Ausbildung zum Experten Anästhesiepflege begann, nahm ich 2004 an meinem ersten Treffen der International Federation of Nurse Anesthetists (IFNA) in Lausanne teil. Die Atmosphäre war von Anfang an international: Pflegefachpersonen aus der ganzen Welt kamen zusammen, um sich fortzubilden, Erfahrungen auszutauschen und ihr Fachwissen auf dem neuesten Stand zu halten.
Die Entstehung der IFNA
Die IFNA wurde durch die visionäre Idee von Hermi Löhnert ins Leben gerufen. In den 1970er-Jahren suchte er nach Wegen, um Anästhesiepflege weltweit weiterzuentwickeln – in einer Zeit, in der technologische und gesellschaftliche Unterstützung noch begrenzt war. Nach einem prägenden Besuch eines nationalen Kongresses in den USA setzte er sich für die Gründung eines internationalen Verbandes ein. 1989 gehörten der IFNA 11 Nationen an, heute sind es 44.
Internationale Zusammenarbeit und berufliche Weiterentwicklung
Ich nahm weiterhin regelmässig an internationalen Fortbildungsveranstaltungen teil – unter anderem in Glasgow, Budapest und Kroatien – und vertrat die SIGA-FSIA erstmals als IFNA-Delegierter. Alle zwei Jahre treffen sich Vertreter:innen aus der ganzen Welt, um über Herausforderungen und Entwicklungen in der Anästhesie zu diskutieren.
Die IFNA gliedert sich in mehrere Arbeitsgruppen:
- Kongressplanungskomitee
- Ausbildungskomitee
- Praxiskomitee [1]
Zudem kooperiert sie eng mit dem International Council of Nursing (ICN) und der World Federation of Societies of Anaesthesiologists (WFSA).
Ziele der IFNA
Zu den Hauptzielen der IFNA gehören:
- Förderung der internationalen Zusammenarbeit zwischen Anästhesiepflegenden
- Entwicklung und Förderung von Ausbildungs- und Praxisstandards
- Bereitstellung von Weiterbildungsangeboten in der Anästhesiepflege
- Unterstützung nationaler Anästhesieverbände bei der Qualitätsverbesserung
- Förderung der Anerkennung des Berufsbildes
- Verbesserung des Zugangs zu sicherer Anästhesieversorgung weltweit
Ein neues Projekt: Anästhesie in Togo
Im Januar 2023 bot sich mir die Gelegenheit, mit der Nichtregierungsorganisation Associazione Aiuto Ayomé Africa [2] zusammenzuarbeiten, um einen neuen Operationsblock mit drei Sälen einzuweihen. Dieses Projekt entstand durch die Initiative von Dr. Francesco Marbach und Don Valentin, die sich seit Jahren für eine bessere medizinische Versorgung der togolesischen Bevölkerung einsetzen.
Dank der Unterstützung des Tessiner Spitalverbunds (EOC) sowie privater Einrichtungen wie der Clinica Ars Medica (Gravesano) und der Clinica Moncucco (Lugano) konnten medizinische Geräte, Operationsbetten, Diathermiegeräte, chirurgische Instrumente, Anästhesieplätze und Medikamente gesammelt und im November 2023 per Container nach Togo verschifft werden.
Technische Herausforderungen und Schulungsbedarf
Der neue Operationsblock wurde mit drei Primus-Anästhesiegeräten von Dräger ausgestattet. Doch für das lokale Personal, bestehend aus zwei Anästhesiepflegenden, war der Umgang mit dieser Technologie eine Herausforderung. Sie baten daher um Unterstützung durch eine:n erfahrene:n Schweizer Kollleg:in – eine Gelegenheit für mich, nach Ayomé zu reisen und mit meinen togolesischen Kolleg:innen zusammenzuarbeiten.
Ausbildung und Gesundheitsversorgung in Togo
In Togo dauert die Ausbildung zur:zum Anästhesiepflegenden drei Jahre und erfordert keinen vorherigen Pflegeabschluss. Anschliessend kann ein zweijähriges Masterstudium absolviert werden. Insgesamt gibt es in Togo etwa 180 Anästhesiepflegefachpersonen, während nur wenige Ärzt:innen in diesem Bereich tätig sind – hauptsächlich in der Hauptstadt Lomé, mit insgesamt nur etwa zehn im gesamten Land.
Die Bevölkerung Togos beträgt etwa 8 Millionen Einwohner:innen. Das Gesundheitssystem umfasst 3 Universitätsspitäler, 6 regionale Spitäler, 19 Distriktspitäler und 100 Ambulatorien. Mit 0,7 Spitalbetten pro 1000 Einwohner:innen liegt Togo weit unter dem Schweizer Durchschnitt von 3,5/1000.
Es gibt eine Krankenkasse, aber nur für die Reichsten oder für diejenigen, die einen festen Arbeitsplatz haben. Der Grossteil der Bevölkerung muss alle Gesundheitsausgaben selbst tragen. Die einzige vom Staat subventionierte Leistung ist der Kaiserschnitt, bei dem die Übernahme der Kosten garantiert ist.
Anästhesiepflege unter schwierigen Bedingungen
In vielen togolesischen Spitälern übernehmen Anästhesiepflegende sämtliche Aufgaben:
- präoperative Untersuchungen
- Einleitung und Durchführung von Vollnarkosen und Regionalanästhesien
- Überwachung im Aufwachraum
- postoperative Anordnungen
Erfolgreicher Start des neuen Operationsblocks
Im November 2023 schlossen wir die logistische und schulungstechnische Unterstützung ab und konnten den Operationsblock offiziell einweihen – die ersten Patient:innen wurden erfolgreich operiert.
Meine grösste Sorge galt der verspäteten Lieferung von Medikamenten, Endotrachealtuben und Laryngoskopen sowie der Sicherstellung eines reibungslosen Ablaufs – insbesondere im Hinblick auf unvorhergesehene Ereignisse und Komplikationen in der Anästhesie.
Die Anspannung vor der ersten Operation war gross. Alles musste perfekt funktionieren: von der Sterilisation über die Operationsbetten bis hin zu den chirurgischen Instrumenten und Beatmungsgeräten. Doch von Anfang an herrschte das Gefühl, als hätten wir schon seit Jahren zusammengearbeitet: mit dem Chirurgen Dr. Pierre Agbati, Dr. Emile Ayité, dem Instrumentalisten Donatien und den Anästhesiepflegenden Laré Joseph und Frank.
Da mir dieses Projekt besonders am Herzen lag, beschloss ich, den Kontakt zu meinen Kolleg:innen in Togo aufrechtzuerhalten und den Verein mit anästhesiologischem Equipment und Ausbildungsmaterial zu unterstützen. Um mehr Material zu beschaffen, mobilisierte ich Arbeitskolleg:innen und ehemalige Studierende, die halfen, Trolleys, Medikamente, Anästhesieschaltkreise, Vaporen, Spinalnadeln und weiteres Equipment zu sammeln. Mein besonderer Dank gilt den Herstellern Dräger, Anandic, Sintetica und Braun.
Herausforderungen und Fortschritte in der Anästhesieversorgung
Die grösste Herausforderung blieb die fehlende finanzielle Unterstützung für die Beschaffung von Anästhesiematerial und Medikamenten. Eine sorgfältige Logistik und präzise Vorausplanung sind essenziell, um eine kontinuierliche Versorgung sicherzustellen.
Derzeit werden die meisten Anästhesien als periphere Regionalanästhesien durchgeführt, hauptsächlich Spinalanästhesien.
Die Arbeit in einem ressourcenarmen Gebiet erfordert ein hohes Mass an Improvisation und Problemlösungskompetenz. Täglich treten unerwartete Herausforderungen auf: Ein Manometer passt nicht auf eine ausgetauschte Sauerstoffflasche, eine Sauerstoffsonde ist undicht, ein Adapter für den Isofluran-Verdampfer fehlt oder Sevofluran wird versehentlich mit Isofluran befüllt. In solchen Momenten kommt es darauf an, mit den vorhandenen Mitteln pragmatische, sichere und effiziente Lösungen zu finden.
Aktuell werden vor allem Leisten- und Nabelbrüche operiert, aber auch Hysterektomien, Mastektomien sowie grosse gynäkologische Tumoroperationen durchgeführt. In Zukunft soll das Spektrum auf unfallchirurgische und orthopädische Eingriffe ausgeweitet werden.
Finanzielle Hürden und der Zugang zur chirurgischen Versorgung
Die meisten Menschen in und um Ayomé sind Landwirt:innen mit begrenzten finanziellen Mitteln. Eine einfache Leistenbruchoperation kostet rund 70 Euro – das entspricht in etwa einem Monatslohn einer:eines Berufstätigen und ist für viele unerschwinglich. Um sich behandeln zu lassen, müssen Patient:innen oft Schulden aufnehmen oder auf Unterstützung von Verwandten und Freunden hoffen.
Die Associazione Aiuto Ayomé Africa setzt sich dafür ein, den Zugang zu chirurgischer Behandlung insbesondere für wirtschaftlich benachteiligte Patient:innen zu erleichtern.
Erfolgreiche Operation trotz schwieriger Bedingungen
Im Januar konnte dank der Anwesenheit von Dr. Alessandra Cristaudi eine 43-jährige Patientin mit einem grossen Gebärmuttertumor erfolgreich operiert werden. Trotz eines niedrigen Hämoglobinwerts von 7 g/dl wurde sie nach gründlicher Untersuchung für den Eingriff zugelassen. Dank des Spitallabors konnten zwei Erythrozyten-Konzentrate bereitgestellt werden, und die Operation wurde unter Spinalanästhesie mit Morphium komplikationsfrei durchgeführt. Vor der Operation wurden zudem Ultraschalluntersuchungen, eine Thoraxröntgenaufnahme und ein EKG durchgeführt, um weitere Risiken auszuschliessen.
Am 23. Februar 2024 und am 23. November 2024 kehrten wir für zehn Tage nach Togo zurück, um gemeinsam mit denselben Chirurg:innen weitere Eingriffe durchzuführen, den Operationsblock besser zu organisieren und das lokale Team in den Bereichen Wundheilung, Rhythmusstörungen und Beatmungsgeräte-Nutzung zu schulen. Unterstützung erhielten wir durch Stefano Mazza und Andrea Scossa-Baggi von der EOC Bellinzona.
Die Associazione Aiuto Ayomé Africa plant und organisiert zukünftig jährliche Einsätze im November und Februar. Wir suchen dafür weitere dipl. Expert:innen Anästhesiepflege oder Anästhesist:innen. Kontaktiert uns, wenn ihr daran interessiert seid, am Projekt teilzunehmen. Immer mehr chirurgische Fachrichtungen sind beteiligt: demnächst die plastische und die augenärztliche Chirurgie.
Zu den weltweiten Zielen der G4 Alliance [3] gehört es, den Zugang zu chirurgischer, geburtshilflicher, traumatologischer und anästhesiologischer Versorgung weltweit zu verbessern, und dieses Projekt trägt voll und ganz dazu bei.
Derzeit suchen wir nach Sponsoren für die folgenden Materialien und Projekte, bitte geben Sie bei einer eventuellen Überweisung den Beitrag für Anästhesie-Chirurgie an:
- Isofluoran – CHF 35
- Sevorane – CHF 160
- Allgemeinanästhesie-Set – CHF 50
- Spinalanästhesie-Set – CHF 30
- Set Lokal-/Regionalanästhesie – CHF 15
Die International Federation of Nurse Anesthetists (IFNA) ist eine grosse weltweite Gemeinschaft, die sich für den Zugang zu Anästhesie, Chirurgie und Patientensicherheit einsetzt. Jede Unterstützung trägt dazu bei, Leben zu retten.
Kontakt
Matteo Gianinazzi
IFNA-Delegierter
Mitglied der Kommission SIGA-FSIA Education
Studiengangsleiter Anästhesiepflege NDS HF, CPSI Manno
Dipl. Experte Anästhesiepflege NDS HF, EOC Lugano
matabio33@gmail.com
Associazione Aiuto Ayomé Africa, Postfach 12, 6834 Morbio Inferiore, info@ayome.org, www.ayome.org
Bankverbindung: Raiffeisenbank Morbio-Vacallo, Via Asilo 3, 6834 Morbio Inferiore
IBAN CH55 80290 00000 17033 08
BIC/Swift: RAIFCH22
[1] https://ifna.site/about-ifna/ifna-committees/
[2] www.ayome.org
[3] https://theg4alliance.org/